Ein Schiff wird kommen ...

Ein Schiff durchpflügt mit voller Motorleistung die Weltmeere. Beladen mit Stoffballen, Schuhsohlen und Elektroteilen. Der Zielhafen kann in jedem Land der Welt sein, das über genügend fleißige Hände verfügt, die geduldig und für einen Hungerlohn einfachste Arbeitsvorgänge verrichten. Das nötige Rohmaterial dafür wird geliefert, nach Polen, nach Thailand oder El Salvador. Lassen sich Arbeiterinnen und Arbeiter nicht länger zwingen, mehr als 10 Stunden täglich zu schuften, auf Sozialleistungen zu verzichten oder gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen zu ertragen, wird der Anker gelichtet. Der nächste Hafen wird angesteuert, in dem wiederum ein Heer von Arbeitslosen bereit steht, den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens zu garantieren.

Die Fabrik der Zukunft als ein Schiff, das überall dort anlegt, wo die Löhne gerade am niedrigsten sind: In diesem Tenor äußerte sich jüngst der Präsident der Nordrheinischen Textilindustrie, Dr. Busse, über seine Produktionsvorstellungen für das Jahr 2000 [Dr. Busse, Präsident der nordheinischen Textilindustrie, in der Zeitschrift Textilwirtschaft vom April 1995]. Freie Produktionszonen wie in Mittelamerika lassen diesen Traum zur Realität werden. Deregulierung und Weltmarktöffnung sollen wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen. Schluß mit sozialpolitischen Maßnahmen wie Mindestlöhnen, Schluß mit gewerkschaftlichen Rechten. Arbeiterinnen, die auf ihre Minimalrechte pochen, sich weigern, ihre Gesundheit oder auch ihr Leben aufs Spiel zu setzen für die Profitinteressen der Maquila-Betreiber, wird meist jegliche Unterstützung von staatlicher und oftmals auch von gewerkschaftlicher Seite verweigert. Sie werden des Verrats am nationalen (Standort)Konsens bezichtigt.

Dieser Diskurs existiert jedoch keineswegs nur in den Länder der sogenannten 3. Welt. Die Apologeten des Neoliberalismus, die jegliches Eingreifen in die "naturgegebenen" Gesetze des Marktes als kontraproduktiv begreifen, beschränken ihre Vorstellung von "der Besten aller Welten" nicht allein auf die südliche Hemisphäre. Die Standortdebatte, die auch in Deutschland niedrige Löhne und devote ArbeiterInnen fordert, entspringt letztlich der gleichen Logik, die auch in Ländern wie Nicaragua, El Salvador oder Honduras die öffentliche Diskussion bestimmt. Arbeitern und Arbeiterinnen wird die Verantwortung für Betriebsverlagerungen aufgebürdet, da aufgrund überzogener Lohnforderungen die Unternehmen an Konkurrenzfähigkeit einbüßen würden. Die deutschen Gewerkschaften reagieren darauf nicht selten mit dem protektionistischen Ruf nach Handelserschwernissen, die verhindern sollen, daß Sozialdumping den Ländern Osteuropas, Asiens oder Lateinamerikas Wettbewerbsvorteile verschafft und somit ganze Industriezweige dorthin verlagert werden. Oft werden dabei gewerkschaftliche Forderungen allein von den nationalen Interessen bestimmt. Langfristige Lösungen, die die oft belächelte internationale Solidarität erfordern würden, sind dabei in den Hintergrund gerückt.

Im Gegensatz dazu findet die Solidaritätsbewegung, deren Arbeit sich meist auf einzelne Länder der Peripherie beschränkt, immer weniger Anknüpfungspunkte an aktuelle Auseinandersetzungen in den westlichen Industrieländern. Eine Diskussion über Positionen und Strategien findet zwischen Gewerkschaften und Solidaritätsbewegung kaum statt. Eine erfolgreiche Unterstützung der Maquila-ArbeiterInnen in ihrem Kampf um verbesserte Arbeitsbedingungen bzw. um das Rechte auf nationale Entwicklung ist jedoch auch wesentlich auf gewerkschaftlichen Druck gegen die Mutterfirmen angewiesen.

Unsere Broschüre umfaßt deshalb neben Beiträgen von Menschen aus der Solidaritätsbewegung zu Freien Produktionszonen auch zwei Stellungnahmen von Mitgliedern der Gewerkschaft Textil und Bekleidung zum Thema "Standortverlagerung". Auch wenn einzelne der vertretenen Positionen schon im Redaktionsteam heftige Kritik provoziert haben, hoffen wir auf eine Fortsetzung des Meinungsaustausches und eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Organisationen.

Wie kam es zu dieser Broschüre?

Die Streiks und Fabrikbesetzungen, mit denen sich Maquila-Arbeiterinnen in El Slavador gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die permanenten Arbeitsrechtsverletzungen wehren wollten, machten uns Anfang 1995 auf die Situation aufmerksam. Seitdem haben wir angefangen, uns mit dem Thema Maquila, Neoliberalismus und Weltmarkt auseinanderzuesetzten. Dabei wurden wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, was die Regierungen der einzelnen Ländern dazu bewegt, diese Investitionsform zu forcieren und wie der Widerstand dagegen genau aussieht. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat das Ökumenische Büro im April dieses Jahres eine Delegationsreise zum Thema "Maquila - eine wirtschaftliche Alternative?" nach El Salvador, Nicaragua und Honduras organisiert. Die Informationen und Ergebnisse dieser Reise sind Schwerpunkt dieser Broschüre. All den Organisationen in Zentralamerika, die der Delegation bei ihrem Projekt geholfen haben, sei an dieser Stelle nochmals herzlichst gedankt!

 

Die Redaktion, Juli´96

 

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